B e s c h l u ß
des 92. Ordentlichen Landesparteitages
am 5. Januar 2000 in Stuttgart

 

INNEN- UND RECHTSPOLITIK

 

Für einen bürgernahen Rechtsstaat - gegen die Pläne der Bundesregierung zur Justizreform

Der Rechtsstaat lebt vom Vertrauen seiner Bürger. Die Schnittstelle zwischen Bürger und Rechtsstaat ist die Justiz. Nur eine bürgernahe und leistungsfähige Justiz, deren Entscheidungen als gerecht akzeptiert werden, sichert das Vertrauen der Bürger in ihren Rechtsstaat.

Das Rückgrat der Justiz sind die Zivil- und Strafgerichte, bei denen die weitaus meisten Prozesse geführt werden. Wer hier Änderungen vornimmt, sollte dies mit Behutsamkeit, Augenmaß und im Konsens tun. Die von der Bundesregierung geplanten Justizreform lässt all dies vermissen. In der Sorge um schwindende Mehrheiten treibt die Bundesjustizministerin das Vorhaben rücksichtslos voran. Der Rechtsstaat ist ein zu kostbares Gut, um ihn durch Schnellschüsse zu gefährden.

Nach dem gegenwärtigen Stand der Planung will die Bundesregierung ihre Justizreform in Stufen verwirklichen. Schon die erste Stufe, die Rechtsmittelreform in Zivilsachen, gibt Anlass zur Sorge. Der Amtsgerichtsprozess würde seinen bürgernahen Charakter verlieren.

Auch die geplante Konzentration der Berufungsinstanz bei den Oberlandesgerichten würde zwangsläufig zu einem Verlust an Bürgernähe führen. Bürger, Anwälte und Zeugen würden erheblich größere Fahrstrecken in Kauf nehmen müssen. Die zusätzlichen Kosten zahlen die Parteien.

Die Qualität der Rechtsprechung wird gefährdet. Der Einsatz des originären Einzelrichters in erster Instanz bis zu einem Streitwert von 60.000,-- DM stellt das Kammerprinzip in Frage und birgt die Gefahr, dass junge Richter auch schwierige Sachen allein entscheiden müssen, ohne von den Erfahrungen eines langjährigen Vorsitzenden profitieren zu können. Auch in der zweiten Instanz sollen massiv Einzelrichter zum Einsatz kommen, weil die Oberlandesgerichte zwar die Arbeit, nicht aber das Personal der Berufungskammern der Landgerichte übernehmen sollen. Dies würde nämlich vollständig zur Verstärkung der Eingangsinstanz benötigt. Im Ergebnis werden in beiden Instanzen Einzelrichter entscheiden. Dies birgt nicht nur die Gefahr eines Qualitätsverlustes. Auch die Akzeptanz beim Bürger wird leiden, wenn ihm in allen Fällen nur ein Richter anstelle einer Kammer bzw. eines Senates gegenübersitzt.

Der Verlust an Bürgernähe, Qualität und Transparenz ist für Liberale nicht hinzunehmen. Die F.D.P. fordert deshalb Sorgfalt statt Schnellschuss. Die Reform in ihrer gegenwärtigen Gestalt gehört nicht in das Gesetzblatt, sondern in den Papierkorb.