Drogenpolitik

(Beschluss des 88. Ordentlichen Landesparteitages am 15. März 1997 in Pforzheim)

Rechtliche Voraussetzung zur Einrichtung von "Fixerstuben"

Die Bundestagsfraktion der F.D.P. wird aufgefordert, die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, um den Kommunen die Einrichtung von sogenannten "Fixerstuben" bzw. "Gesundheitsräumen" rechtlich zu ermöglichen.

Maßnahmen zur Bekämpfung der Beschaffungskriminalität und des Hygienedefizits bei Drogenabhängigen (6-Punkte-Programm)

Die F.D.P. schlägt die folgenden Maßnahmen für eine aktive Drogenpolitik vor:

Trotz bemerkenswerter Fortschritte in Prophylaxe und Therapie in Teilbereichen, ist das Gesamtbild erschreckend: Die Zahl der Drogenabhängigen insgesamt, der Neueinsteiger sowie der Toten steigt ständig. Insgesamt ist eine Lösung dieses wichtigen gesellschaftspolitischen und für die Betroffenen existentiellen Problems im Augenblick nicht in Sicht.

Die Zahl der Abhängigen steigt trotz repressiver Drogenpolitik. Dies lässt den Schluss zu, dass eine starre law-and-order-Haltung, wie sie derzeit praktiziert wird, nicht zum Erfolg führt.

Ein Königsweg kann nicht angeboten werden. Aber durch Aufbrechen von starren Strukturen können neue Erfahrungen in der Therapie gesammelt werden. Das Wagnis ganz neuer, und nach geltendem Recht nicht möglicher Schritte, muss erwogen werden.

Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, bekräftigt die F.D.P. ihre Auffassung, dass

1. Substitution mit Ersatzstoffen

Die Substitution mit Methadon oder L-Polamidon hat sich insgesamt bewährt. Die gesetzlichen Regelungen, die heute den Therapeuten zum Teil die Hände binden, müssen überdacht und praxisorientiert neu formuliert werden. Dabei muss die Devise gelten: weniger juristische und polizeiliche Maßnahmen, größere Therapiefreiheit für die Ärzte. Der verantwortungsbewußte Arzt ist gewohnt, auch mit gefährlicheren Medikamenten umzugehen, als es die beiden o.g. darstellen. Eine ähnlich restriktive Regelung ist sonst aber bei medizinischen Verordnungen

nicht gegeben.

Die Landesregierung wird aufgefordert, die Substitutionsprogramme im Land Baden-Württemberg nach ärztlicher Indikation, unter strenger Kontrolle und bei begleitender psychosozialer Beratung zu intensivieren.

2. "Spritze im Knast"

Baden-Württemberg wartet die Ergebnisse der in Niedersachsen derzeit laufenden Modellversuche, mit denen Erfahrungen über die Ausgabe von Spritzen an Abhängige in Justizvollzugsanstalten als Beitrag zur Gesundheitsvorsorge gesammelt werden sollen und ihre wissenschaftliche Auswertung ab, bevor über eigene Maßnahmen entschieden wird. Dabei wird auch die Sicherheit der imVollzug Beschäftigten ein wesentlicher Gesichtspunkt sein.

3. "Fixerräume"

Hier handelt es sich in erster Linie um ein hygienisches Problem. Es soll vor allem die Übertragung von Krankheitserregern verhindert werden. Strittig ist, ob die derzeitige Gesetzeslage diese Einrichtungen zuläßt oder nicht. Tatsache ist, dass die verschiedenen Bundesländer in dieser Frage unterschiedlich entscheiden.

4. Schnellentzug

Die Chancen des Schnellentzugs (sogenannter "Turbo"-Entzug) sollen auch in Baden-Württemberg erprobt werden. Dies sollte an einer entsprechenden Klinik geschehen mit strenger wissenschaftlicher Begleitung.

5. Vereinfachung polizeilicher Maßnahmen

Das standardisierte Verfahren der Polizei im Umgang mit Drogenabhängigen muss verbessert und flexibler gestaltet werden. Der Staatsanwaltschaft soll die Einstellung des Verfahrens vorbehalten bleiben.

Devise: Keine aufwendigen Ermittlungen bei Abhängigen und Kleinsttätern. Dagegen Bündelung der Polizeikräfte zur Bekämpfung der Drahtzieher.

6. Kontrollierte Abgabe von Drogen an Abhängige

Es gibt viele Heroinabhänigige, die aus den verschiedensten Gründen nicht bereit sind, sich einer Substitutionstherapie zu unterziehen. Bei manchen bestehenden Kontraindikationen, manche Süchtige sind nicht "steuerbar".

So sind viele Abhängige im Grunde genommen darauf angewiesen, sich ihren Stoff selbst zu beschaffen. Hier sollte man ansetzen.

Vereinfacht gilt folgende Modellrechnung: Der Materialwert der Tagesdosis für Heroin liegt bei 10 DM, der Verkaufspreis bei Dealern bei etwa 100 DM. Um diese 100 DM täglich flüssig zu haben, muss Beschaffungskriminalität von 1000 DM pro Tag geleistet werden. Vom häufig dabei noch zusätzlich verursachten Personen- und Sachschaden nicht zu reden.

Eine weitere Beschaffungsmöglichkeit ist die Prostitution. Hier kann man davon ausgehen, dass es rasch zur Ansteckung der/des Prostituierten kommt und dass diese Erreger rasch weitergegeben werden. Es handelt sich dabei um Infektionskrankheiten, welche teilweise nur mit hohem Aufwand und hohen Kosten therapierbar (Geschlechtskrankheiten, Hepatitis usw.) teilweise auch unheilbar (HIV)

sind.

Als Schneeballeffekt erweist sich der Zwang zum Dealen durch Abhängige. So werden stets neue "Kunden" gewonnen, da nur so die Mittel für den eigenen Stoff beschafft werden können.

Der volkswirtschaftliche Schaden ist bei allen Beschaffungsarten enorm.

Die F.D.P. tritt dafür ein, dass im Rahmen von Modellversuchen unter großstädtischen Bedingungen für medizinisch diagnostizierte Abhängige harter Drogen die Möglichkeit geschaffen wird, ihnen diese Rauschmittel unter strenger medizinischer Kontrolle zum Selbstkostenpreis zu verabreichen.

Zusammenfassung:

Die jetzige Drogenpolitik hat trotz mancher Fortschritte in Prophylaxe und Therapie insgesamt versagt.

Es müssen neue Wege beschritten werden.

Die F.D.P. empfiehlt, die o.g. Maßnahmen in entsprechende Modelle umzusetzen und entsprechend gesetzgeberisch aktiv zu werden.