Freiheit braucht Sicherheit vor Ort

(Beschluss des 91. Ordentlichen Landesparteitages am 4. Juli 1999 in Balingen)

Die F.D.P. ist die Partei der Freiheit. Wir wollen jedem Bürger die Chance geben, seinen individuellen Lebensentwurf zu verwirklichen.

Freiheit braucht Sicherheit, um sich entfalten zu können. Im vergangenen Jahrhundert war es der Obrigkeitsstaat, der den Menschen ihre Entfaltungschancen versagte. Liberale haben ihn überwunden und den Rechtsstaat erkämpft. Heute ist es die Kriminalität, die Freiheit und Eigentum der Bürger bedroht. Im liberalen Rechtsstaat sind Justiz und Polizei deshalb Verbündete der Bürger im Kampf gegen die Kriminalität. Sie sorgen für die Sicherheit, die die Freiheit zur Entfaltung braucht.

Sicherheit wächst vor Ort. Dazu bedarf es auch der Mitwirkung der Bürger. Es darf ihnen nicht gleichgültig sein, wie ihre Nachbarschaft aussieht. Helfen statt wegsehen, Engagement statt Gleichgültigkeit, Gestaltung statt Verfall sind das liberale Konzept für eine erfolgreiche lokale Kriminalprävention.

Kriminalprävention durch gesellschaftliche Verbesserungen

Die erste Ebene der Kriminalprävention betrifft die Gesamtsituation einer Gesellschaft. Dabei geht es zum einen um die materielle Situation. So sind ein ausreichendes Arbeitsplatzangebot, ein attraktives Wohnumfeld sowie ein ansprechendes Freizeitangebot Faktoren, die der Kriminalität vorbeugen.

Mindestens ebenso bedeutsam ist allerdings die Stärkung des Rechtsbewusstseins. Der Konsens einer Gesellschaft über die Achtung der Rechtsordnung ist das Fundament, auf dem der Rechtsstaat ruht. Wer dieses Fundament zur Disposition stellt, untergräbt den Rechtsstaat. Die verschiedenen Entkriminalisierungsvorschläge der rot-grünen Bundesregierung haben in diesem Zusammenhang eine fatale Wirkung. Schon die Diskussion über eine Entkriminalisierung des Ladendiebstahls durch ein Strafgeld höhlt den Schutz des Eigentums im Bewusstsein der Menschen aus. Warum soll einen Ladendieb das Unrechtsbewusstsein plagen, wenn die Bundesministerin der Justiz seine Tat wie ein Kavaliersdelikt mit einer neuen Form des Verwarnungsgeldes ahnden will? Nicht minder gefährlich ist es, wenn wider besseres Wissen ständig schärfere Gesetze gefordert werden. Warum aber sollte

sich der Bürger sicher fühlen, wenn man ihm das Gefühl vermittelt, die Gesetze würden ihn nicht ausreichend schützen?

Liberale treten deshalb für eine Stärkung des Rechtsbewusstseins durch die konsequente Anwendung der vorhandenen Gesetze ein. Unser Motto lautet: Handeln statt Fordern! Baden-Württemberg weist die bundesweit geringste Kriminalitätsbelastung auf.

Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Kriminalprävention durch gesellschaftliche Verbesserungen liegt vor Ort. Die erfolgreiche Ansiedlung von Gewerbebetrieben schafft Arbeitsplätze und nimmt der Kriminalität ihren Nährboden. Ein ausreichendes Angebot von Ausbildungsplätzen schafft Perspektiven auch für gefährdete Jugendliche. Eine professionelle Stadtplanung sorgt für lebens- und liebenswerte Nachbarschaften statt anonymer Vorstadtghettos. Ein attraktives Freizeitangebot verhindert Langeweile und lässt vor allem Jugendliche nicht auf Abwege geraten.

Auch bei der Stärkung des Rechtsbewusstseins liegt der Schlüssel vor Ort. Zunächst sind die Familien gefordert. Aber auch in einer funktionierenden Nachbarschaft kann nur auf gesellschaftliche Akzeptanz hoffen, wer sich den Spielregeln unterwirft. In einer Stadt, in der Verantwortungslosigkeit zur Regel geworden ist, wird sich auch Kriminalität leichter entfalten können. Umgekehrt haben viele Städte inzwischen bewiesen, dass ein gepflegtes äußeres Erscheinungsbild die Kriminalität reduziert.

Die Umsetzung der von Partei und Fraktion schon lange geforderten Drogenpolitik, die Hilfe in den Vordergrund rückt, leistet dabei einen essentiellen Beitrag zur Beseitigung der Verwahrlosung und zur Zurückdrängung der Beschaffungs-kriminalität vor Ort.

Eine pflichtbewusste und freundliche Kommunalverwaltung schafft Vertrauen. Die Übernahme von Verantwortung in den Vereinen, Verbänden und Kirchen, in den Feuerwehren und caritativen Einrichtungen, in den Jugendtreffs und Altenheimen beweist Engagement für das Gemeinwesen und regt zur Nachahmung an. Vor allem aber sind es die zahllosen Übungs- und Gruppenleiter, die der Jugend als Vorbilder dienen. Wer kann die Bedeutung von Spielregeln besser vermitteln als ein Fußballtrainer seiner Jugendmannschaft?

Kriminalprävention durch Verminderung konkreter Kriminalitätsrisiken

Die Gewährleistung von Sicherheit ist eine der Kernaufgaben des Staates. Ohne eine funktionierende Polizei hat das Verbrechen Hochkonjunktur. Und ohne eine funktionierende Justiz kann der Rechtsstaat seine friedensstiftende Wirkung nicht entfalten. Nur wenn Polizei und Justiz ihre Aufgabe meistern können, nur wenn sie mit den Kommunen, den Kirchen, den Vereinen und Verbänden an einem Strang ziehen, entsteht Sicherheit. Nur wenn ein potentieller Straftäter fürchten muss, von der Polizei überführt, von der Staatsanwaltschaft angeklagt, vom Gericht verurteilt zu werden und im Gefängnis einen Platz zu finden, funktioniert die Abschreckung. Deshalb startet Baden-Württemberg jetzt ein bundesweit einmaliges Programm zur Modernisierung von Polizei und Justiz. Computer statt Schreibmaschinen, eine neue und zeitgerechte Ausstattung mit Arbeitsmitteln – seien es Waffen oder Schreibtische –, neue Motivation durch Abbau des Beförderungsstaus für die "kleinen" Beamten und der Bau von fast 1000 zusätzlichen Haftplätzen werden dazu beitragen, Baden-Württemberg den Platz 1 bei der Inneren Sicherheit zu erhalten. Aber auch hier liegt der Schlüssel zum Erfolg vor Ort. Eine orts- und bürgernahe Präsenz von Justiz und Polizei entziehen der Kriminalität ihren Nährboden. Nicht die anonyme Zentrale, sondern der Streifenpolizist auf der Straße schreckt ab. Nicht ein gesichtsloser

Justizbetrieb, sondern das kleine Amtsgericht vor Ort schafft Vertrauen. Und nur wo Vertrauen herrscht, engagieren sich auch die Bürger für die Sicherheit in ihrer Gemeinde. Wenn man die Bürger dagegen alleinläßt, wenn sich bei der Polizei nur der Anrufbeantworter meldet oder der Streifenwagen erst eintrifft, wenn alles zu spät ist, wird das Vertrauen der Bürger in den Staat zerstört. In anderen Bundesländern gibt es hierfür durchaus Beispiele.

Kriminalprävention durch Resozialisierung

Resozialisierung ist der beste Opferschutz. Die erfolgreiche Wiedereingliederung eines Straftäters in die Gesellschaft beugt weiteren Straftaten vor. Mit dieser zweiten Chance tun wir zwar auch dem Täter einen Gefallen. In erster Linie aber helfen wir all denen, die Opfer seiner weiteren Taten geworden wären. Stempeln wir ihn dagegen ab und grenzen ihn dauerhaft aus der Gesellschaft aus, legen wir eine Zeitbombe.

Auch hier liegt der Schlüssel vor Ort. Die Bewährungshelfer und Straffälligenhilfevereine können nur gemeinsam mit den Verantwortlichen in den Kommunen, Kirchen und Vereinen dem Täter diese neue Chance verschaffen. Nachbarn, Arbeitskollegen und Vereinskameraden bilden für ihn das Netz, das ihn vor einem erneuten Abrutschen auf die schiefe Bahn bewahren muss.

Die F.D.P. fordert daher einen 10-Punkte-Katalog zur Kriminalprävention:

  1. Kommunale Präventionsbeiräte sollen unter Beteiligung aller Institutionen auf die örtlichen Gegebenheiten abgestimmte Strategien und Maßnahmen zur Kriminalprävention entwickeln.
  2. Einer Verwahrlosung einzelner Straßenzüge oder Ortsteile muss entgegengewirkt werden, damit Kriminalität keinen Nährboden findet.
  3. Wer Verantwortung in der Gesellschaft trägt, muss sich bewusst sein, dass er/sie eine Vorbildfunktion wahrnimmt.
  4. Die Gemeinden setzen ihre Anstrengungen fort, ein positives Klima für bürgerschaftliches Engagement zu schaffen. Eine aktive Nachbarschaft, Nachbarschaftsinitiativen und eine verstärkte Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger in kommunale Belange bilden ein Netzwerk gegen Kriminalität.
  5. Ein System aus Früherkennung und Hilfsangeboten ist Voraussetzung dafür, dass aus gefährdeten Jugendlichen keine Serientäter werden. Das in Stuttgart-Bad Cannstatt neu eingerichtete Haus des Jugendrechts, das für eine enge Vernetzung der Arbeit von Polizei, Justiz und Jugendhilfe sorgt, hat dabei Modellcharakter.
  6. Durch die Förderung der aktiven Jugendarbeit, insbesondere der Vereine, wird das soziale Netz dichter geknüpft, das Jugendliche vor dem Abrutschen in die Kriminalität bewahrt. Hier liegt auch ein wichtiger Schwerpunkt für die kommunale Jugendhilfe.
  7. Die Modernisierung von Polizei und Justiz wird fortgesetzt.
  8. Die Präsenz von Polizei und Justiz vor Ort schafft Sicherheit und Vertrauen. Deshalb sind Fußstreifen, Ortspolizisten und eine dezentrale Revierstruktur ebenso unverzichtbarer Bestandteil einer kommunalen Präventionsstrategie wie die Erhaltung der kleinen Amtsgerichte.
  9. Die Strafe muss der Tat auf dem Fuße folgen, soll sie abschreckend wirken. Deshalb trägt die Justiz mit beschleunigten Strafverfahren wesentlich zur kommunalen Kriminalprävention bei.
  10. Innerhalb unseres Strafsystems verdienen solche Sanktionsformen Vorrang, die einen Beitrag zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens vor Ort leisten. Dies sind vor allem der Täter-Opfer-Ausgleich und die gemeinnützige Arbeit.