Unsere Zukunft - Europa

(Beschluss des Landeshauptausschusses am 18. Oktober 1997 in Freiburg)

Die europäische Einigung ist und bleibt erste Priorität liberaler Politik. Die Europäische Einigung war die Antwort auf beides: die Katastrophe des 2. Weltkriegs und die Ost-West-Konfrontation. Heute steht Europa vor seiner zweiten historischen Herausforderung, der Überwindung der Teilung Europas und der Schaffung eines neuen, freien, vereinten Europas. Unsere Vergangenheit verpflichtet uns besonders für die europäische Zukunft. Deutschland muss weiter Motor für die europäische

Integration und das Zusammenwachsen unseres Kontinents sein.

Unsere Zukunft: dauerhafter Frieden in einem vereinten Europa

Die Europäische Union ist das Erfolgsmodell einer friedenswahrenden und wohlfahrtsfördernden Zusammenarbeit in Europa, das weltweit und historisch einmalig ist. Fünfzig Jahre Frieden in Europa sind dieser Zusammenarbeit zu verdanken.

Ohne die Europäische Union wäre die deutsche Wiedervereinigung undenkbar

gewesen. Daran hatte die deutsche Außenpolitik unter Führung der F.D.P. maßgeblichen Anteil. Die F.D.P. und ihre europäischen Partnerparteien werden auch in

Zukunft Motor der europäischen Integration sein.

Europa steht vor entscheidenden Weichenstellungen: wir müssen eine dauerhafte und gerechte Friedensordnung für ganz Europa schaffen, die gemeinsame

Außen- und Sicherheitspolitik stärken und gemeinsam die Herausforderungen des Informationszeitalters und der Globalisierung bewältigen. Die Europäische Union kann sich im dynamischen globalen Wettbewerb nur erfolgreich behaupten, wenn sie die europäische Integration vorantreibt und sich für neue Mitglieder öffnet.

Zentraler Bestandteil des europäischen Einigungsprozesses wird die Heranführung und erfolgreiche Integration der mittel- und osteuropäischen Staaten in die euro-atlantischen Institutionen. Institutionelle Reformen und Stärkung von Demokratie und Handlungsfähigkeit der EU sind hierfür jedoch notwendige Voraussetzungen. Denn nur effiziente und demokratische Institutionen, sowie ein gestärktes Europäisches Parlament können den Erfolg der notwendigen Erweiterung garantieren. Deutschland trägt dabei eine besondere Verantwortung und gewinnt als unmittelbarer Nachbar neue Chancen durch die Öffnung der Märkte.

Die Erweiterung erfordert aber auch eine umfassende Demokratisierung der europäischen Institutionen, eine Weiterentwicklung des Finanzsystems, so z. B. eine Reform der Agrar- und Strukturpolitik, sowie eine tragfähige Finanzierung der Gemeinschaft auch bei über 20 Mitgliedsstaaten. Die politische Union ist für die liberale europäische Vision ebenso fundamentale wie eine wirtschaftliche Union. Denn Liberale wollen bei den Bürgern das Bewusstsein und das Lebensgefühl einer wirklichen europäischen Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit schaffen.

Im Vertrag von Maastricht haben sich die Mitgliedsstaaten zu einer stabilitätsorientierten, offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet. Die zukünftige Wirtschafts- und Währungsunion kann nur auf Dauer Erfolg haben, wenn auch in der Umweltpolitik die europäische Integration und Harmonisierung verstärkt fortgesetzt wird.

Die F.D.P. fordert daher, in ganz Europa verstärkt marktwirtschaftliche Instrumente im Umweltschutz einzusetzen, die Steuersysteme in den Mitgliedsstaaten ökologisch weiterzuentwickeln, die ausgeuferte Umweltbürokratie zurückzudrängen und Überregulierung in der Umweltpolitik abzubauen. Die F.D.P. setzt sich weiterhin

neben den europäischen Initiativen für die Einführung eines dritten Mehrwertsteuersatzes auf Energie ein.

Unsere Zukunft: der europäische Bundesstaat - Einheit in Vielfalt

Wir Liberale bekennen uns zu einem Europäischen Bundesstaat, dessen Strukturprinzipien der Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip sind. Einheit in Vielfalt ist die liberale europäische Vision. Demokratie und Liberalismus bilden dabei die Basis einer europäischen Gemeinschaft. Endziel ist die Schaffung einer europäischen Staatsbürgerschaft.

Deshalb soll eine europäische Verfassung, basierend auf den Menschen-, Bürger- und Freiheitsrechten, Fundament allen politischen, juristischen und gesellschaftlichen Handelns der EU sein. So soll die Europäische Union als ganze der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten und als gemeinsame Verpflichtung zum Ausdruck bringen. Grundlage der politischen Verfassung einer liberalen EU ist die pluralistische Konkurrenzdemokratie mit einer freiheitlichen und demokratischen Grund- und Werteordnung auf der Basis einer strikten Gewaltenteilung. Mitgliedstaaten dieser politischen Europäischen Union können nur die werden, die diese Verfassung anerkennen.

Die Garantie des Rechtsstaates stellt das Fundamentalprinzip der demokratischen Ordnung Europas dar. Im Vordergrund steht die Sicherung und Gewährleistung der freiheitlichen Grundrechte der Bürger Europas. Sicherheit und Freiheit stehen dabei nicht in Widerspruch: Im Zweifel ist für die Freiheit der europäischen Bürger zu entscheiden. Datenschutzbeauftragte der Länder kontrollieren die Einhaltung des

Rechts der informationellen Selbstbestimmung. Europol arbeitet länderübergreifend bei der Verbrechensbekämpfung mit. Dabei ist die Achtung der Grund- und Menschenrechte der europäischen Verfassung oberste Leitlinie. Eine institutionalisierte Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik ist zwingend erforderlich. Oberstes Prinzip ist der Gedanke der Volkssouveränität. Europas Bürger müssen das Europa der Zukunft aktiv gestalten.

Die europäische Sicherheitspolitik wird von ihrem defensiven Charakter gekennzeichnet. Die WEU wird zu einem effektiven, militärischen Arm der EU ausgebaut. Über die Verteidigung des eigenen Territoriums hinaus beteiligt sich die EU an friedensschaffenden und friedenserhaltenden Maßnahmen der UNO und NATO. Sie setzt sich für die weltweite Ächtung und Abschaffung von atomaren, biologischen und chemischen Waffen sowie Minen ein und wirkt an der Verhandlung und Verifizierung von Abrüstungsabkommen aktiv mit.

Die Schaffung einer friedlichen Kooperation der Staaten der Erde ist das Ziel europäischer Außenpolitik. Eine liberale europäische Union setzt sich für die weltweite Förderung von Freiheit, Demokratie und freier, ökologisch sozial verpflichteter Marktwirtschaft ein.

Grundsatz der europäischen Ausländer- und Asylpolitik ist die dringend gebotene rechtliche Harmonisierung einer die nationalen Grenzen überschreitenden gesellschaftlichen Entwicklung. Die Europäische Union gewährt politisch Verfolgten Asyl. Die Europäische Union ist ein Einwanderungsregion. Eine liberale europäische Union verpflichtet sich dem Grundsatz des ius soli als Basis eines europäischen Staatsbürgerschaftsrechts.

Das marktwirtschaftliche Wirtschaftssystem der liberalen europäischen Gesellschaftsvision ist den Prinzipien der Freiheit, der Ökologie und der sozialen Verantwortung verpflichtet. Jede Form des wettbewerbsverzerrenden Staatsinterventionismus z. B. durch Subventionen oder andere Formen von Staatsvergünstigungen ist abzulehnen. Ein europäisches Kartellamt garantiert den freien Wettbewerb. Im Rahmen einer gemeinsamen Währung und durch eine unabhängige Europäische Zentralbank verpflichtet sich die Wirtschafts-, Finanz- und Fiskalpolitik der Europäischen Union der Preisniveaustabilität.

Unsere Zukunft: mit dem EURO die Wirtschaftsunion vollenden

Die Wirtschafts- und Währungsunion ist die strategische Antwort der Europäischen Union auf die Globalisierung der Märkte und die Entstehung neuer dynamischer Wachstumszentren. Europa braucht einen attraktiven gemeinsamen Markt mit einer starken gemeinsamen Währung, um im globalen Wettbewerb mit den anderen Wirtschaftsregionen, vor allem den großen asiatischen und amerikanischen Freihandelszonen, zu bestehen. Die Währungsunion vollendet den Binnenmarkt und setzt

Wachstumskräfte für neue Investitionen und Arbeitsplätze in Deutschland und in Europa frei. Sie verhindert spekulativen Aufwertungsdruck gegen die D-Mark und sichert damit Arbeitsplätze, gerade im Exportland Deutschland. Mit dem EURO kann Deutschland seine Produktivitätsvorteile im internationalen Wettbewerb voll nutzen.

Die F.D.P. will den Euro als wichtiges Stück Zukunftssicherung für unsere Wirtschaft und unsere Arbeitsplätze. Die Währungsunion wird nur als Stabilitätsgemeinschaft Erfolg haben. Nur ein stabiler Euro gewinnt das Vertrauen der Bürger und der inter

nationalen Finanzmärkte. Der Euro schafft zusätzlichen Druck für vernünftige, stabilitätsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik bei uns und in allen anderen Staaten der Europäischen Union, das heißt: stabiles Geld, gesunde Staatsfinanzen, stabile und transparente Preise und niedrige Zinsen. Der Erfolg des Euro zeigt sich bereits jetzt: noch nie haben wir in der EU so niedrige Zinsen und Inflationsraten erreicht. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist nach dem Vorbild der Bundesbank geschaffen, aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarung unabhängig und strikt der Geldwertstabilität verpflichtet. Die F.D.P. hält konsequent an der Unabhängigkeit und Stabilitätsverpflichtung der Europäischen Zentralbank fest und wird sich jedem Versuch der politischen Einflussnahme auf die Geldpolitik der EZB widersetzen. Der Stabilitätspakt setzt enge Grenzen für Verschuldung und verhängt harte Strafen bei übermäßigen Defiziten. So bleiben Haushaltsdisziplin und solide Finanzen auf Dauer wirtschaftspolitische Richtschnur aller Euro-Teilnehmer.

Für ein exportorientiertes Bundesland wie Baden-Württemberg gibt es keine

Alternative zur fristgerechten Einführung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. 50% unseres Exports gehen in die EU. Der Pro-Kopf-Export ist doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt. Jeder dritte Arbeitsplatz wird durch den Export, vor allem in europäische Länder, gesichert. Fast die Hälfte der baden-württembergischen Direktinvestitionen gehen in die EU oder kommen aus den EU-Ländern ins Land. Wir sind das klassische Exportland in Europa und können uns deswegen

provinzielles Denken nicht leisten.

Liberale distanzieren sich von populistischen Aktionen gegen den Euro. Um die

Akzeptanz des Euro zu erhöhen, sind die Anstrengungen zu einer sachgerechten und glaubwürdigen Information der Bürger und der Wirtschaft über Chancen und

Risiken zu intensivieren. Die von Wirtschaftsminister Dr. Döring gestartete Euro-Akzeptanzkampagne ist hier richtungsweisend. Konkrete Erfahrungsmöglichkeiten, wie etwa im Europa-Park Rust, in Waldkirch und in Berlin sollten erheblich ausgeweitet werden.

Unsere Zukunft: Baden-Württemberg im Herzen Europas

Gerade im deutschen Südwesten, an der Grenze zu Frankreich und der Schweiz wird sichtbar, was gemeinsame Politik leisten kann.

Planungen werden grenzübergreifend abgestimmt, das "Karlsruher Übereinkommen" ermöglicht unmittelbare kommunale und regionale Zusammenarbeit über

Grenzen hinweg. Ehemalige Zollanlagen wurden zu Beratungsstellen für Bürger und Wirtschaft. Der Personenverkehr fließt weitgehend ungestört, auch die Grenze zur Schweiz ist trotz des negativen Ausgangs der EWR-Abstimmung offener geworden. Die Regio-S-Bahn entsteht als erstes trinationales ÖPNV-System weltweit, gemeinsame Planung im Straßen-, Schifffahrts- und Luftverkehr ersetzen früheres nationales Konkurrenzdenken.

Polizeiliche Zusammenarbeit lässt erhebliche Fortschritte bei der Bekämpfung

organisierter Kriminalität erkennen. Das baden-württembergische Konzept der

direkten Kooperation zwischen deutschen und französischen Polizeidienststellen ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Eine alte F.D.P. - Forderung wird damit erfüllt.

Im Bereich der Bildung und beruflichen Bildung sind mit dem "Oberrheinischen Universitätsverbund EUCOR", mit der trinationalen Fachhochschule Muttenz-Lörrach-Mulhouse oder dem gemeinsamen Studiengang der Universität Straßburg und der FH Kehl zum European Public Manager die Grenzen weit geöffnet. Aufgrund der Initiative eines in allen drei Regioteilen und weltweit agierenden Privatunternehmers ist eine trinationale Lehrlingsausbildung mit einem abschließenden "Regio-Zertifikat" möglich, das in allen drei Teilregionen als berufsqualifizierender Abschluss anerkannt wird.

Es gilt auf diesen Erfolgen aufzubauen.

Kommunen, Landkreise, Regionalverbände, Regierungspräsidien, Regierungen der Länder, Departements und Kantone haben eine Vielzahl von grenzüberschreitenden Gremien gebildet, die nicht immer sehr produktiv nebeneinander arbeiten. Die F.D.P. fordert stattdessen ein unmittelbar gewähltes Regionalparlament als gemeinsames, demokratisch legitimiertes Gremium.

Im Interesse der kleinen und mittleren Unternehmen, insbesondere des Handwerks fordert die F.D.P. durchgreifende Erleichterungen in der grenzüberschreitenden

Arbeit. Die Notwendigkeit der Gestellung eines französischen Steuerbürgen für den badischen Handwerker, der im Elsass arbeiten will, ist zu beseitigen. Ebenso können Benachteiligungen südbadischer Handwerker bei Ausschreibungen in der Schweiz nicht hingenommen werden, dazu muss mit der Eidgenossenschaft und mit den Kantonen verhandelt werden.

Im Interesse des Tourismus und des baden-württembergischen Gastgewerbes müssen die bestehenden wettbewerbsverzerrenden Unterschiede gegenüber europäischen Mitbewerbern bei der Besteuerung, insbesondere im Mehrwertsteuerbereich, abgebaut und die gespaltenen Mehrwertsteuersätze für die Gastronomie beseitigt werden.

Im Verkehrsbereich fordert die F.D.P. den vollständigen Ausbau der Regio-S-Bahn, den viergleisigen Ausbau der Oberrheinstrecke und die grenzüberschreitende

Kooperation der Häfen am Oberrhein.

Die F.D.P. unterstützt ausdrücklich die Bemühungen von Wirtschaftsminister

Dr. Walter Döring und der F.D.P./DVP-Landtagsfraktion, die Zusammenarbeit der über 300 in der Drei-Länder-Region arbeitenden Betriebe in den Bereichen Chemie, Biologie, Pharmazeutik und Agrochemie unter Einbeziehung der universitären Forschungseinrichtungen in Basel, Freiburg, Colmar, Mulhouse, Illkirch, Straßburg und Karlsruhe im Projekt "Biovalley Oberrhein" zu fördern.

Über das Dreiländereck hinausgehend unterstützen die Liberalen den weiteren Ausbau der Zusammenarbeit der "Vier Motoren Europas" - Baden-Württemberg, Rhône-Alpes, Lombardei und Katalonien - als Vorreiter des Europas der Regionen.

Unsere Zukunft - Europa !